Ich war in den letzten Monaten immer mal wieder in Köln und in Ratingen und das letzte Mal hatte ich einen ganzen Tag frei für Sightseeing. Ich weiss nicht viel über das Ruhrgebiet und dachte eine Aussichtsplattform wäre gut um das mal alles von weiter oben zu sehen. Google schlug den Tetraeder in Bottrop und den Gasometer in Oberhausen vor. Die Zeche und die Kokerei Zollverein lagen auf dem Heimweg und ich wollte mir den Förderturm der schönsten Zeche der Welt ansehen.
Der Gasometer Oberhausen wurde 1927 gebaut, im Krieg schwer beschädigt und ist seit 1993 eine Ausstellungshalle. Die Halle ist 115 Meter hoch und hat einen Durchmesser von 67 Meter.
Man kommt nur auf das Dach, wenn man die Ausstellung besucht und natürlich Eintritt bezahlt. Ich wollte an diesem schönen Tag allerdings lieber draußen als drinnen sein. An der Kasse gaben sie mir den Tip, den Tetraeder zu besuchen. Er soll der höchste Punkt im Ruhrgebiet sein. Der Tetraeder steht auf der Halde Bergstrasse. Die Halde ist 110 Meter hoch. Im Tetraeder ist eine Aussichtsplattform in 38 Meter Höhe
Der Aufstieg ist schon eine kleine Herausforderung, da man auf Gitterplatten läuft, durch die man nach unten durchsehen kann. Viele Besucher hatten an diesem Tag damit echte Probleme. Die Plattformen hängen in Seilen und schwingen an windigen Tagen (es war recht windig :) ). Von oben hat man tatsächlich einen sehr guten Blick über die Landschaft. So sieht beispielsweise der Gasometer in Oberhausen von hier aus.
Rundum sieht man solche Bauten …
Vor dem Tetraeder ist ein Feld mit Steinen. Die Idee ist, dass man in der abgesenkten Mitte des Feldes bei völliger Stille sitzen kann. Das funktioniert tatsächlich.
Ich sass eine Weile neben und in dem Feld und habe die Besucher beobachtet. Manche sahen durchaus schräg aus (Ja, er hatte eine Sauerstoffflasche auf dem Rücken).
Da ich Internet hatte, habe ich mich erstmal eingelesen wozu all diese Fabriken und Halden überhaupt gut waren. In einer 4 stündigen Führung, in die ich eher unabsichtlich in der Zeche Zollverein geraten bin, bekam ich dann nochmal live und in Farbe das “volle Brett” Ruhrgebiet.
Kohle …
So grundsätzlich geht und ging es im Ruhrgebiet immer um Steinkohle.
Steinkohle kann man
- Über- oder Untertage fördern (hier wo ich gerade bin, wurde Untertagebau betrieben)
- verbrennen, um zuhause Wärme und in Kraftwerken Elektrizität zu erzeugen
- zu Koks veredeln
- mit dem Koks kann Stahl hergestellt werden
- aus Stahl kann man Waffen, Werkzeuge, Autos und viele andere Dinge bauen
Zeche
Um die Kohle aus der Erde zu bekommen benötigt man eine Zeche. Im Prinzip ist das ein Loch in der Erde mit einem Aufzug. Von diesem Loch gehen Gänge ab aus denen die Kohle “unter Tage”, also gewissermassen im Dunkeln “herausgekratzt” wird. Die Gänge liegen von 100 Metern bis mehr als 1000 Meter unter der Erde. Früher wurde manuell mit Hämmern “gehackt”, heute nutzt man Maschinen. Früher lebten auch Pferde mehrere Monate unter der Erde weil es sich nicht lohnte, sie nach der Schicht wieder nach oben zu befördern. Die “Kohlengänge” sind im Durchmesser nicht besonders gross (60cm bis 3 Meter). Manchmal liegen die Kohleschächte waagerecht, manchmal “schräg”. Waagerechte Schichten sind einfacher abzubauen. Zwischen den Kohleschichten liegt “Masse”, das nennt man taubes Gestein oder Berge und man möchte damit eigentlich nix zu tun haben. Da die Kohleschichten nicht scharf von den “Bergen” getrennt sind, kommt viel taubes Gestein mit nach oben. Es wird in einem Aufzug in einem Förderturm hochgezogen.
So sieht aus, was da gefördert wird.
Über Siebe werden grosse und kleine Stücke getrennt. An Förderbändern trennen dann Menschen grössere Kohlestücke vom Rest (oder lesen die Steine raus, das weiss ich nicht mehr genau). Danach muss die Kohle vom Gestein getrennt werden. Das passiert in der Kohlenwäsche. Gestein ist schwerer als Kohle und lässt sich daher gut mit/im Wasser trennen (man benötigt viel Wasser!). Der Transport erfolgt in Loren. Die Berge werden dann tatsächlich zu Bergen oder Halden neben der Zeche aufgetürmt. Auf einer dieser Halden steht der Tetraeder. Manche Berge konnten auch als Schotter oder Füllmaterial verkauft werden, beispielsweise im Strassenbau oder bei der Landgewinnung in den Niederlanden.
Hier lag früher bis zu 20 cm Kohlenstaub auf dem Boden! Die Loren waren oft “verklebt” und wurden mit solchen Maschinen gesäubert. Der Geräuschpegel lag bei 110 dezibel.
Nach dem Säubern und Sieben wurde die Kohle entweder in eine Kokerei per Förderband weitertransportiert oder auf Eisenbahnwagen verladen. Der Schacht 12 der Zeche Zollverein wurde 1933 erbaut und war eine hochmoderne Anlage, die im Stil der Neuen Sachlichkeit erbaut wurde. Heute ist er Welterbe der Unesco (Zusammenhänge mit Nazideutschland wurden in der Führung nicht erwähnt, auf Wikipedia habe ich das gefunden).
"Die gute Anordnung verdeutlicht den Arbeitsablauf und schafft ein architektonisch eindrucksvolles Bild" pic.twitter.com/t2Bzxddmpp
— hagengraf (@hagengraf) August 27, 2017
Koks
Koks ist veredelte Kohle und hat einen höheren Kohlenstoffgehalt. Kohle ist schwarz, Koks eher anthrazitfarben (“weiss”). Um Koks zu erhalten wird Kohle unter Luftabschluss in einem Koksofen auf 1000 °C erhitzt. Als Ergebnis erhält man Gase, Koks, Teer aber auch Schwefelsäure. Das Gas wird Stadtgas genannt und gern in Stahlwerken genutzt. Die Kokerei Zollverein hat mehr als 300 Öfen in einer Reihe. Die eine Seite war schwarz, da kommt die Kohle rein. Die andere Seite weiss, da kommt der glühende Koks heraus. Das Bild zeigt die schwarze Seite mit den Gasrohren und Abfackeleinrichtungen.
Die Öfen bestehen aus Schamottestein und mussten immer warm sein, also “laufen”. Wenn sie längere Zeit aus sind, gibt es Spannungsrisse und die Kokerei ist “wertlos”. Die Öfen sind riesig (mehr als 10 Meter lang und hoch). Jede Füllung sind 25 Tonnen Kohle. So sieht ein Ofen von innen aus.
Die gesamte Kokerei hat quasi immer “geglüht”. Wenn die 25 Tonnen glühender Koks aus dem Ofen geschoben worden sind, mussten sie schnell gelöscht werden, damit sie nicht verbrennen. Dazu benötigt man etwa 40 Tonnen Wasser, die sofort in Dampf verwandelt werden. In den noch existieren Kokereien sieht das dann so aus.
Bei mehr als 300 Öfen in einer Anlage sah man dieses Bild sehr oft!
Und heute?
Heute gibt es kaum Steinkohleabbau in Deutschland. Die grössten Lieferanten sind China, USA und Indien.
Die Kohlevorräte in Deutschland sind erschöpft oder zu teuer im Abbau verglichen mit dem Weltmarkt. Also braucht man prinzipiell auch keine Kokereien mehr. Die Kokerei Kaiserstuhl wurde beispielsweise nach 8-jähriger Betriebsdauer nach China verkauft. Das gab es vorher noch nie und die Arbeiter mussten damit erstmal klarkommen!
https://www.youtube.com/watch?v=RSw_j0YaIKg
Die Stahlwerke in Deutschland können weiterhin produzieren. Sie kaufen ihren Koks auf dem Weltmarkt und versuchen mit hochwertigem Stahl wettbewerbsfähig zu sein. Dummerweise stieg der Kokspreis in den vergangenen Jahren an und so wird es immer schwerer konkurrenzfähig zu sein. Auch das Gas aus den vielen Kokereien steht natürlich nicht mehr zur Verfügung.
Das Ruhrgebiet war das grösste europäische industrielle Ballungszentrum und benötigte Arbeitskräfte. Die Bevölkerungszahlen stiegen explosionsartig. So hatte Bochum um das Jahr 1800 – 2200 Einwohner, 100 Jahre später bereits 117000 Einwohner, also mehr als 50mal so viele. Grosse Teile der Infrastruktur, des bebaubaren Landes und der Immobilien gehörten wenigen Familien, die durch Kohle und Stahl teilweise extrem reich geworden sind, beispielsweise Hoesch, Grillo, Harkort, Stinnes, Haniel (heutiges Vermögen > 6 Milliarden Euro) und natürlich Krupp/Thyssen (mittlerweile eine Stiftung). Krupp erfand den nichtrostenden Stahl!
- 1957 begann die Kohlekrise
- 1973 die Stahlkrise
Seitdem befindet sich das Gebiet im “Strukturwandel“. Die vielen Arbeiter werden nicht mehr gebraucht und die Region sucht nach Möglichkeiten andere Einkommensquellen zu erschliessen!
In der Kokerei Zollverein gibt es beispielsweise ein Kunstprojekt Werksschwimmbad und ein Riesenrad (seit ein paar Jahren ausser Betrieb). In der Strasse vor den Koksöfen ist im Winter eine Schlittschuhbahn.
Es ist auf der einen Seite schön zu sehen, dass sich vielleicht etwas Neues im Ruhrgebiet entwickelt, auf der anderen Seite aber auch tragisch, was aus diesen riesigen Anlagen, die da so vor sich hinrosten, geworden ist. All die Arbeiter braucht man heute nicht mehr!
Das gesamte Ruhrgebiet hat sich um etwa 20 Meter abgesenkt, Wasser muss aus alten Schächte gepumpt werden, damit sie nicht “absaufen” und einstürzen. Der Grundwasserspiegel ist dadurch gesunken. Die ehemaligen Zechengelände sind mit verschiedenen Stoffen belastet.
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