Fieber, Schmerzen im Bauch und seit zwei Tagen im Hotelzimmer. Ich denke es geht mir besser und wir gehen zum Expo-Gelände. Nach kurzer Zeit wird klar. Es ist nicht besser und wir beschließen in eine Notaufnahme in ein Krankenhaus zu fahren.
Taxi, Krankenhaus, Notaufnahme.
Ich habe das dutzende, wenn nicht hunderte Male gemacht. Ich war immer der, der die Leute hingebracht hat. 1986 habe ich 20 Monate Zivildienst als Rettungssanitäter in Westdeutschland gemacht. Westdeutschland hatte damals eine Wehrpflicht und man konnte aus Gewissensgründen diese Wehrpflicht verweigern. Das war kompliziert, denn man musste seine Gewissensentscheidung mündlich und schriftlich “begründen”. Die einfachste Begründungs-Variante waren “religiöse Gründe”. Ich war und bin nicht religiös, aber damals war es schwer aus Vernunftgründen zu verweigern .
Es gab kirchliche Beratungsstellen mit so einer Art “Musterbegründung”. Bei meiner Gewissensentscheidung habe ich mich dann auf eine Auswahl biblischer Verse berufen, die ich auch als nicht religiöser Mensch ok fand. Die Verhandlung war vor drei Leuten von der Bundeswehr, die mich befragten und es war surreal. Es hat aber funktioniert, mein Gewissen wurde staatlich geprüft und für glaubwürdig befunden. Ich durfte 20 Monate Krankenwagen fahren anstelle von, ich glaube es waren 14 Monate, in der Bundeswehr zu “dienen”.
Diese 20 Monate haben mein weiteres Leben durchaus geprägt. Ich hatte jeden Tag mit Menschen zu tun, die gerade die Kontrolle über ihr Leben verlieren, einen Unfall hatten oder permanent mit irgendwelchen Krankheiten zu tun hatten. Ich konnte auf einem Krankentransport nicht viel machen. An der Unfallstelle war meist ein Notarzt und ich war zuständig für Handreichungen. Einmal habe ich jemanden intubiert und ein paar Zugänge habe ich gelegt. Ich merkte aber schnell, dass das keine Arbeit für mich ist. Ich war viel zu aufgeregt und besorgt, das ich jemandem weh tue. Im Krankenwagen selbst bin ich entweder möglichst vorsichtig gefahren oder ich sass hinten und habe mich mit den Patienten unterhalten oder deren Hand gehalten und gelächelt – na was man so macht. Stories für 100 Blog posts.
Ich muss oft an diese Episode in meinem Leben denken, wenn ich in Ländern unterwegs bin, in denen Religion sehr wichtig ist. Die fragen dann oft, welcher Religion ich angehöre. Die Antwort “keine” zählt für die meisten nicht und ich muss dann innerlich zugeben, dass ich natürlich in einer “christlichen” Umgebung sozialisiert wurde, auch wenn ich damit nichts zu tun haben will.
Heute bin ich das erste Mal in meinem Leben der Patient. Ich warte in der Notaufnahme und schaue beim Warten auf einen grossen TV Monitor. Er zeigt die Live-Übertragung aus der Kabaa in Mekka. Das Krankenhaus ist in Dubai und ich bin hier weil ich die Expo2020 besuche. Ich war unter anderem heute im Saudi Arabischen Pavillon. Er ist in vier Bereiche geteilt. Die Geschichte Saudi Arabiens, Bilder von Orten und Menschen in Saudi Arabien, technische Errungenschaften und zum Schluss die Vision für die Zukunft. Diese Vision war nun aber nichts konkretes, wie beispielsweise wir planen dies und das. Es waren in sich verlaufende Muster auf einer sehr grossen Videowand in Kugelformat. Ich dachte erst, dass die Vision bestimmt bald kommt aber auch nach 10 Minuten nur verlaufende Muster, Blumen und farbige Fische.
Jetzt schaue auf den Fernseher mit der Live-Übertragung von der Kabaa und erinnere mich an die Vision im Pavillon. Es ist alles im Fluss. Alles dreht sich, alles bewegt sich. Manchmal bleibt die Menge stehen und betet, dann geht es weiter im Kreis. Viele tragen keine Masken. Die schwarz-gekleideten Personen sind die Frauen, die weiss-gekleideten Männer. Dazwischen sind immer ein paar Aufsichtspersonen in Uniform. Die Menschen lösen sich auf in schwarz-weisse Pixel und bilden Muster.
Rund im die Kabaa stehen ebenfalls Wächter. Wir befinden uns im Jahr 2021.
Ich kenne eine Frau in unseren Dorf, die schaut rund um die Uhr auf ihrem Fernseher die Live-Übertragung von der Quelle in Lourdes. Es beruhigt sie.
Mich beruhigt es auch. Nach zwei Stunden Warten verschwimmt das Bild ein wenig vor meinen Augen aber es beruhigt.
Ich werde aufgerufen und komme in einen Voruntersuchungsraum. Blutdruck, Puls und Fieber wird gemessen. Alles wirkt sehr professionell. Der Krankenpfleger ist sehr freundlich.
Ich muss noch etwas warten und werde dann von einem Arzt untersucht. Verschiedene Tests und Untersuchungen werden in Auftrag gegeben. Eine Krankenschwester legt mir einen Zugang, ich erhalte viele Infusionen. Beim Antibiotika machen sie erst einen Test ob ich allergisch reagiere. Als nach 10 Minuten keine allergische Reaktion auftritt lassen sie zwei kleine Flaschen “durchlaufen”. Es brennt ein wenig im Arm, das Fieber wird weniger.
Einige meiner Werte sind zu hoch und sie empfehlen mir im Krankenhaus zu bleiben. Sie wissen nicht genau was mir fehlt.
Ich erhalte in der Nacht mein Zimmer. Eine Krankenschwester erklärt mir, wie alles funktioniert (Bett, Telefon, Notruf) und jemand aus der Küche fragt ob ich noch etwas essen will und was ich gern zum frühstück haette.
Meine Liebste faehrt ins Hotel und ich bin allein in diesem Zimmer. Alles ist gut organisiert, ich habe keine Angst, aber es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich keine Kontrolle habe. Ich weiss nicht was mit mir los ist. Ich kann es nicht beurteilen.
Ich denke darüber nach, dass es doch besser gewesen wäre zu irgendwelchen Vorsorgeuntersuchungen zu gehen, mich mehr zu bewegen, gesünder zu essen, weniger Wein und mehr Wasser zu trinken, …
Natürlich fange ich an zu googeln und natürlich lande ich schnell bei Krebs und anderen Schreckenszenarien.
Während meiner Zeit beim Zivildienst hatte ich einen Kollegen, der zu den Patienten immer sagte “Keine Angst, so schnell stirbt sich’s nicht”.
Ich habe oft Patienten nach ihrer Entlassung gesehen, die ich ins Krankenhaus gebracht hatte und für deren Überleben ich nicht viel verwettet hätte.
Es wird langsam wieder hell und vor meinem Fenster picken ein paar Vögel herum. Ich beobachte die Vögel, fange an zu weinen und schlafe ein.
Am nächsten Morgen kommt meine Frau und meine Tochter mit zwei frischen Croissants. Ich bin anfangs entsetzt, dass sie sich so viel Mühe machen und denke, dass das doch nicht notwendig gewesen sei. Ich bin doch nur im Krankenhaus. Im Nachhinein merke ich aber wie gut das tat und bin froh, dass sie da waren.
Ich weiß nicht was ich habe aber es geht mir im Kopf gut und ich habe Vertrauen, dass das wieder weg geht.
Zur Info 😀Ich bin mittlerweile wieder zu Hause und so wie es aussieht auch bald wieder gesund. Kein Grund zur Sorge.
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