Ich habe diesen Teil der Reise mal vorgezogen, weil ich dauernd daran denken muss, wie es in Hongkong war. Auf der letzten Etappe sind wir von Shenzhen Bei aus mit der Bahn nach Hongkong West Kowloon gereist. Es sind 26 Kilometer und die Fahrt dauert knapp 20 Minuten. Shenzhen hat heute knapp doppelt soviel Einwohner (12,5 Mio) wie Hongkong (7 Mio). Vor 30 Jahren wohnten in Shenzhen 59.000!, in Hongkong 5,1 Millionen Menschen. Es muss also eine Menge passiert sein in den letzten 40 Jahren.
Bei der Ankunft in Hongkong am Bahnhof West Kowloon passierten wir die Grenzkontrollen zwischen China Mainland und der Sonderverwaltungszone Hongkong. Da wir nur ein einfaches China Visa hatten, konnten wir nun nicht mehr so einfach zurück nach China, was auch so von uns geplant war. Nach drei Wochen China fiel uns nach der Grenze die massive Werbung für Finanz- und andere Dienstleistungen in Hongkong auf. In Chinas Bahnhöfen gibt es auch Werbung aber eher “dezent”. In Hongkong gibt es eine andere Währung (Hongkong-Dollar) und ein anderes Telefonnetz. In China hatten wir kostenloses Roaming, in Hongkong leider nicht mehr. SIM Karten sind aber preisgünstig – etwa 8 Euro für 5GB Daten. Wenn man aus dem klimatisierten Bahnhof kommt, schlägt einem die Hitze entgegen (so um die 30 Grad) und ein durchaus beeindruckendes Panorama.
Da in diesem Bereich alle Städte so eng zusammenliegen, hier mal eine kleine Übersichtskarte. Links sieht man Guangzhou und Macau, rechts oben Shenzhen und unten rechts Hongkong. Die Gegend ist heute ein einziges grosses Siedlungsgebiet und alle Teile sind mit Autobahnen, Brücken und Bahnstrecken verbunden. Das relativ kleine Hongkong Island wurde 1841 vom Vereinigten Königreich besetzt – “einfach so” im Rahmen des ersten Opium Krieges. Die strategische Lage von Hongkong Island ist perfekt, weil es sehr grosser natürlicher Hafen ist.
Im Vertrag von Nanking wurde England das „ewige Besitzrecht“ an der Insel Hongkong (Hongkong Island) übertragen. Der Vertrag von Nanking gehört zu den ungleichen Verträgen, eine angemessene Gegenleistung war von englischer Seite nicht vorgesehen! Der Vertrag ist also “so eine Sache” und seit 1926 versuchte die jeweilige chinesische Regierung, diese Verträge zu annullieren oder auf andere Art rückgängig zu machen. Kowloon wurde später ebenfalls von China abgetreten und die New Territories und 235 weitere Inseln wurden von England über Pachtverträge dazu “gemietet”. Hongkong war der zweitwichtigsten Umschlagplatz im völkerrechtswidrigen Kulihandel. Zum Auf- und Ausbau der Industrie wurden Hunderttausende billige chinesische Arbeitskräfte gewaltsam nach Hongkong verbracht. Nach dem zweiten Weltkrieg entwickelte sich Hongkong zu einer der stärksten Wirtschaften der Welt. Anfang der 1960er Jahre gab es erneut Widerstand gegen die britische Kolonialherrschaft (Unruhen in Hongkong 1967 mit vielen Toten und Verletzten). In den 1980er Jahren wanderten fast alle Produktionsbetriebe aus Hongkong nach China ab. Die Stadt entwickelte sich zu einem reinen Handels- und Dienstleistungszentrum.
Rein juristisch hätte China nur die Rückübertragung der erst 1898 gepachteten New Territories verlangen können. 1997 wurde aber aus diplomatischen Gründen (und vermutlich einem wirklich schlechten Gewissen und akuter Hilflosigkeit seitens UK) auch Hong Kong Island und das 1860 abgetretene Kowloon zurückgegeben. Seitdem ist Hongkong eine chinesische Sonderverwaltungszone, also seit immerhin 22 Jahren.
Das sozialistische System und die Politik sollen in der Sonderverwaltungszone Hongkong nicht praktiziert werden, und das bisherige kapitalistische System und die Lebensweise bleibt für 50 Jahre unverändert.
Kapitel 1, Artikel 5 des Grundgesetzes Hongkongs, der Verfassung der Sonderverwaltungszone Hongkongs
(The socialist system and policies shall not be practised in the Hong Kong Special Administrative Region, and the previous capitalist system and way of life shall remain unchanged for 50 years.)
Leider wurde nie vereinbart, was denn im Jahr 2047 passiert, wenn diese 50 Jahre ablaufen.
Die Situation heute in Hongkong ist von starken Gegensätzen geprägt. Es gibt dort heute:
- Käfigmenschen: Das sind Wohnungen, wo mehrerePersonen in einem Raum wohnen, welcher durch abschließbare Käfige oder Holzboxen geteilt ist. Die Käfige sind etwa zwei Kubikmeter groß und teilweise doppel- oder dreistöckig gestapelt 2013 schätzte die Hongkonger Regierung, dass etwa 177.000 Menschen unter diesen Bedingungen leben. Eine Trendwende ist nicht in Sicht, da viele der Käfigwohnungen illegal betrieben werden.
- Armut: Rund 20 Prozent der Hongkonger Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. In China lag die Armutsquote 2016 nur bei etwa 3 Prozent. 40 Prozent der Hongkonger beziehen Sozialhilfe.
- Arbeitszeit: Hongkong hat mit 51,5 Stunden im Schnitt die längsten Arbeitszeiten der Welt.
- Superreiche (Vermögen > 30 Mio US$): In Hongkong leben die meisten Superreichen, nämlich 10.000, zum Vergleich: in der gesamten Schweiz sind es 6400!
- Parteien: Durch die besondere Situation ist die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) verboten. Es bildeten sich viele “Stellvertreterparteien”, die je nach politischem Standpunkt Pro-Peking (“Anti-Demokratisch”) oder Anti-Peking (“Demokratisches Lager”) sind. Eine demokratische Geschichte existiert in Hongkong interessanterweise aber nicht wirklich, die Kronkolonie wurde mit harter Hand und vielen Dekreten regiert. Im heutigen Parlament sind die Pro-China Parteien momentan in der Mehrheit und “volksnäher”. Sie haben einen Mindestlohn durchsetzen können (3,59 Euro pro Stunde /1.466 Euro Monat) und Verbesserung bei der Wohnsituation. Heute, 24.11. findet gerade eine neue Kommunalwahl statt (Wahlen in Hongkong). Das Wahlverfahren ist ebenfalls umstritten. Unter anderen haben Konzerne im aktuellen Wahlsystem einen Einfluss auf die Auswahl oder Nichtauswahl von Kandidaten.
Die Lage ist also ziemlich verworren und nicht so schwarz – weiss, wie sie in der Presse dargestellt wird. Für die Armen bietet China heute deutlich mehr, die Reichen möchten gern am bisherigen System festhalten.
Irgendwo dazwischen steht “Otto Normal Hongkonger”.
Proteste am 70sten Jahrestag
Unser Hotel befand sich (ungeplant) in der Nähe der Regierungsgebäude an der Hennessy Road. Wir kamen am Tag vor dem Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik China an. Es sollte ein feierlicher Tag mit einem grossen Feuerwerk werden. Das Feuerwerk und ein Grossteil der Feierlichkeiten wurden abgesagt. Um den Tag einigermassen ruhig über die Bühne zu beklommen, verhängte die Regierung auch ein Demonstrationsverbot. An der Rezeption sagte man uns, wir sollten vorsichtig sein und am besten im Hotel bleiben. Für den nächsten Tag war ab 14:00 Uhr eine (nicht genehmigte) Demonstration geplant.
Wir waren ein wenig unsicher und gingen morgens durch eine weitgehend menschenleere Stadt “spazieren”. Die Geschäfte waren geschlossen, die U-Bahn Stationen in der Nähe ebenfalls. Wir fuhren mit der Fähre nach Kowloon und kamen so gegen 13:00 Uhr wieder zurück. Auf der Henessy Street sah es mittlerweile so aus.
Der Marsch war sehr friedlich, schwoll um 14:00 Uhr an und ging gegen 16.00 Uhr zu Ende.
Bis dahin gab es keine Gewalt.
Wir beschlossen die Sache vom Hotelzimmer aus zu beobachten. Nach 16:00 Uhr sahen wir hin und wieder USA Fahnen.
Eine Gruppe von Demonstranten begann Pflastersteine auszugraben …
… in Kartons zu verpacken …
… und an verschiedenen Stellen auf der Hennessy Road zu deponieren. Dabei wurde die Gruppe immer von Regenschirmen “bedeckt” …
Mittlerweile bezog die Polizei auf einer Fussgängerbrücke Stellung und forderte die Leute auf nach Hause zu gehen. Das taten auch die meisten, denn der “friedliche” Teil der Demonstration war vorbei. Von Seiten der Protestanten flogen nun Molotowcocktails in Richtung der Polizei. Mehrere Feuer erfassten auch die Eingänge von Geschäften und das Vordach unseres Hotel brannte …
Die Polizei wiederum feuerte Tränengasgranaten. Die Strasse wurde dadurch frei und Feuerwehrfahrzeuge rückten an um die Brände zu löschen.
Die Feuerwehrleute wurden von den Demonstranten in Ruhe gelassen und löschten einzelne Brände.
Die Polizei gab ebenfalls Ruhe, denn die Strasse war ja nun frei. Die Demonstranten sammelten jetzt Müllcontainer im Schutz der Feuerwehrwagen …
Sie brachten etwa 10-15 Müllcontainer in eine kleine Gasse zwischen zwei Wolkenkratzern und entzündeten sie. Das Feuer wurde schnell gross und entzündete auch die Verkleidung der beiden Häuser rechts und links. Es gab Feueralarm in unserem Hotel und wir sammelten uns in der Lobby.
Viele Reporter standen in der Lobby des Hotels, hielten ihre Smartphones live auf die Situation und berichteten ebenfalls live vom verzweifelten Kampf der “jungen Demokraten” gegen die “Unterdrücker aus Peking”. Auf der Strasse gab es viele Personen mit gelben Westen und der Aufschrift “Press” die Fotos machten.
Es war für mich eine sehr surreale Situation und ich hatte gerade sehr deutlich etwas anderes gesehen als da live neben mir berichtet wurde. Was ich gesehen hatte, war ganz klar Zerstörung, Aufstand und eine sehr schmierige Gewaltstrategie seitens der schwarz vermummten und gewalttätigen Demonstranten, die extrem gut organisiert waren. Das Prinzip war immer gleich: Erst wurde die Polizei, die sich dort, wo ich stand, sehr zurückhielt, mit Steinwürfen provoziert. Wenn es dann zu einer Reaktion seitens der Polizei kam (Tränengas) wurde von Menschen mit gelben Westen (“Press”) die Gewalt der Polizei dokumentiert.
Als die Feuer grösser und meines Erachtens zu einer echten Gefahr wurden, setzte die Polizei einen Wasserwerfer ein um Zugang für die Feuerwehr zu ermöglichen. Es gab ein kurzes Intermezzo mit Steinwürfen von der einen und Tränengasgranaten von der anderen Seite. Im Hotel sammelten sich mittlerweile Feuerwehrleute und ein paar Demonstranten mit tränenden Augen. Parallel dazu lief im Fernsehen der Live Bericht der Feierlichkeiten zum 70sten Geburtstag in Peking.
Das Feuer wurde gelöscht und die Polizei rückte weiter in Richtung Regierungsgebäude vor
Danach kamen Müllwagen und räumten die Barrikaden von der Strasse.
Es wurde dunkel und bis in die Nacht gab es Auseinandersetzungen. Wir hörten Schüsse und sahen immer wieder Feuerwehrwagen. An diesem Abend kam es auch zu einem ersten scharfen Schuss seitens eines Polizisten gegen einen Demonstranten. Die Umstände sind auch hier umstritten.
Das passierte alles am 1.10.2019 und ist nun 7 Wochen her. In der Zwischenzeit habe ich viel über diese Proteste gelesen und weiss noch weniger, wem ich glauben soll. Tine hat auch schon darüber geschrieben – China ist anders.
… und wie ist Hongkong sonst so?
In erster Linie ist es dicht besiedelt, etwa so wie Monaco, ziemlich hohe Luftverschmutzung, wenige Elektrofahrzeuge und grosse Gegensätze zwischen arm und reich.
Victoria Peak
Auf Hongkong Island gibt es einen Berg, den Victoria Peak (554 m) . Dorthin führt eine Kabelbahn. Die Endstation der Bahn ist eine schreckliche Shopping Mall. Auf dem Dach dieser Mall gibt es eine Terrasse mit einem Panorama Blick über Hongkong.
Wenn man aus der Shopping Mall herausfindet, führt ein kleiner Weg zu einem höher gelegenen Park. In diesem Park war die, mittlerweile abgerissene, Hongkonger Gouverneursvilla. Der Aufstieg ist steil aber der Park ist sehr schön. Der Gipfel selbst ist nicht zugänglich, da er voller Antennen steht.
Shopping
In China sagte man uns, der einzige Grund Hongkong zu besuchen seien Shopping Touren. Also haben wir uns auch mal so eine Shopping Mall angesehen. In Kowloon gibt es die Victoria Docks mit der über dem Wasser “schwebenden” “Avenue of Stars” und der luxuriösen Shopping Mall K11.
Hier ist auch ein guter Platz um die jeden Abend stattfindende Lightshow in Hongkong Island zu beobachten. Bereits einen Tag nach dem Demonstrationen war hier wieder “Business as usual”.
Kongresszentrum und Golden Bauhinia Square
Das Kongresszentrum ist gerade eine riesige Baustelle, da der Platz neu gestaltet wird.
Auf dem Platz vor dem Kongresszentrum (Golden Bauhinia Square) fand die Übergabe 1997 an China statt. Dort steht eine goldene Skulptur, die eine Lotusblüte (Bauhinia) darstellt. Ausserdem zwei Fahnenmasten, mit jeweils den Fahnen für Hongkong China. Der Mast mit Chinas Flagge ist ein klein wenig höher ;). Hier findet täglich eine Zeremonie statt, bei der die Flaggen gehisst werden. Hier fand auch die Zeremonie zum 70sten am Morgen des 1.10.2019 statt.
Strassenbahnen & Busse
In Hongkong fahren Doppeldecker Strassenbahnen und natürlich auch Doppeldeckerbusse. Die Strassenbahnen sind elektrisch, die Busse leider nicht.
Es gibt Strassen auf denen stehen so 50 Doppeldeckerbusse mit laufenden Motoren hintereinander auf zwei oder gar drei Spuren im Stau. Bei 35 Grad Aussentemperatur heizen diese Busse die Umgebungsluft zusätzlich auf und der Abgasgestank ist echt hart.
Hafen
Hongkong verfügt nach wie vor über einen grossen Hafen. Er ist der sechtsgrösste der Welt nach den Häfen Qingdao, Ningbo-Zhoushan, Shenzhen, Singapur und Schanghai. Der Hongkonger (Kwai Tsing) Container Terminal besteht aus neun Terminals mit 24 Anlegeplätzen für die grössten Containerschiffe der Welt.
Fazit
Hongkong ist eine faszinierende Stadt, die aber deutlich in die Jahre gekommen ist. Ich wäre gern noch ein paar Tage geblieben um mehr zu sehen. Vor 40 Jahren war Hongkong wichtig für China. Heute nimmt die Bedeutung Hongkongs für China ab. Der Hafen in Shenzhen ist bereits erheblich grösser, die Stadt selbst fast doppelt so gross wie Hongkong. Die Lebensverhältnisse in Shenzhen sind besser. Die Mehrzahl der Touristen in Hongkong (80{0f2b36d8f80fa52f37b916148a6e37fe671d96583f68d5887344addd2eee52a6}) kommen heute aus China. Die andauernden Proteste sind Gift für die Wirtschaft und den Tourismus in Hongkong. Die aktualisierte Wikipedia Seite Proteste in Hongkong 2019 gibt einen ganz guten Überblick über die aktuelle Lage, man sollte allerdings auch viele der angegebenen Quellen lesen. Ich halte es für eine tragische Situation. Es gibt bis heute keinen “offiziellen Plan” was nach 2047 mit Hongkong passieren. Ich glaube, Shenzhen wird die Rolle von Hongkong in Zukunft einnehmen und natürlich wird China die Oberhand in Hongkong behalten. Die reichen Einwohner Hongkong haben genug Geld um sich schnell umzuorientieren, aber was passiert mit denen, die das nicht können. Ich bin gespannt auf den Ausgang der Wahlen heute.
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