Ich liege in meinem Auto auf dem Campingplatz am Stadtbad in Wolfenbüttel. Mein Zelt konnte ich nicht aufstellen, weil jetzt nur nur noch Wohnmobile erlaubt sind, also schlafe ich im Auto. Ich habe Kopfweh und sehe auf dem Telefon 45 neue Nachrichten in der WhatsApp Gruppe mit dem Namen ABI 1984. Ich schreibe mit verquollenen Augen …
Um etwas Klarheit zu bekommen, schreibe ich das gleich mal auf.
Alle 66 Teilnehmer auf dieser Gartenparty sind um die 54/55 Jahre alt. Vor 35 Jahren, im Jahre 1984, haben wir Abitur gemacht. Insgesamt waren es so um die 120, die in diesem Jahrgang an dieser Schule Abitur gemacht haben. Ausser den 66 auf dem Rasen gibt es noch ein paar, die nicht kommen konnten. Ein paar von denen sind in der WhatsApp Gruppe, die jemand vor 10 Tagen eingerichtet hat, mehr oder weniger live dabei.
In den letzten 35 Jahren ist echt eine Menge passiert und jetzt stehe ich da auf diesem Rasen und frage so nacheinander jeden, den ich erkenne
“Und? … was hasten du so gemacht?”
Zeitweise bilden sich die gleichen Grüppchen wie in den Klassenräumen (sowas wie: Die Fahrschüler, die Handballer, die Raucher, etc). Ich musste ein paar mal vor Freude heulen, als ich manche Leute wiedererkannt habe. Ich bin von Menschen umgeben, die mein Hirn irgendwie wieder erkennt, aber nicht auf Anhieb einordnen kann. Das ist ein interessantes Gefühl. Es ist wie eine begehbare Datenbank :)
Mit diesen Leuten habe ich vor mehr als 35 Jahren diskutiert, gelernt, geschwänzt, geknutscht, Musik gehört, Scheisse gebaut, Pläne geschmiedet, Hoffnungen und Ängste gehabt und Zuversicht zusammengebaut. Unter Zuhilfenahme von viel Alkohol und Nikotin die ganz grossen Fragen, wie “was soll ich nur mit meinem Leben anfangen?”, “was ist der Sinn?” und natürlich “wer geht mit wem?” geklärt.
Na was man halt so macht wenn man “gross” wird.
Ich habe natürlich vor dem Treffen die meisten gegoogelt aber wenige gefunden. In sozialen Netzwerken sind ausser mir leider nur wenige aktiv (Falls doch, bitte vernetzt euch mit mir auf allen nur denkbaren Wegen – jetzt … sofort :) -> Twitter, Flickr, Instagram, Facebook, Mastodon, LinkedIn, XING). Zwei Personen habe ich auf Twitter gefunden (@corinnacremer, @stefanbrix) und bin ihnen gefolgt. Ein paar habe ich auf auf LinkedIn gefunden. LinkedIn ist ok, weil da immerhin schon mal diese offizielle Story steht, aber leider nicht die vielen kleinen Stories dahinter.
Ich konnte mir also vorher kaum ein Bild machen. Das ist heutzutage ein ungewöhnliches Gefühl für mich, denn meistens weiss ich, was mich so grob bei einem Treffen erwartet. Das zu wissen, ist ausgesprochen praktisch, weil es Zeit spart in dieser hochoptimierten Welt.
Vor >35 Jahren war es völlig normal, dass man nichts voneinander wusste und sich erst so langsam ranpirschen musste. Das hat natürlich auch seinen Charme, dauert aber doch erheblich länger und vieles, sehr vieles bleibt dabei auf der Strecke..
Ich habe in den letzten 24 Stunden so viele interessante Stories und Lebensläufe gehört.
Alle diese Lebensläufe lassen sich in der lustigen, der tragischen, der abenteuerlichen oder auf viele andere Weisen erzählen.
35 Jahre!
Es war ein gutes Treffen.
Was hätte ich darum gegeben, solche Erfahrungen im Jahr 1984 zu hören, als ich sehr unsicher war, wie denn das alles so mit meinem Leben weitergeht.
Heute würde ich solche Geschichten gern jüngeren Menschen vermitteln oder gemeinsam mit ihnen erschliessen. Unsere Schule macht im Februar 2020 eine Berufsberatung, zu der ich auch, als Ehemaliger, eingeladen wurde.
Ich werde mir etwas ausdenken und fahre jetzt gemütlich und verzaubert in den Süden.
Leave a Reply